- Rom und die Welt
- Rom und die WeltAls es nach der Ausdehnung des römischen Einflusses seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. mit den Eroberungen in Griechenland, Ägypten und Kleinasien zur Auseinandersetzung mit diesen fremden Kulturen gekommen war, drangen außer den neuen Religionen Musiker aller Sparten in das Römische Reich ein. Sie kamen aus allen unterworfenen Gebieten, vor allem wohl aus dem multiethnischen Alexandria, das wie ein Schmelztiegel auch für Tanz, Musikinstrumente und Gesang aus den umliegenden Territorien gewirkt hatte. In der Kaiserzeit erreichte die Zuwanderung ihren Höhepunkt, mit ihr die Durchdringung des römischen Lebens mit Fremdelementen in allen seinen Bereichen. Kleinstatuetten zeugen mit neuen Instrumenten (Kastagnetten, Pfeifen, neuen Formen von Saiteninstrumenten, zum Beispiel von Harfen und Sonderformen von Leiern und Lauten) von Synkretismen auch im Musikleben, sodass durchaus von »mittelmeerischer Gemeinsamkeit der Völker in der Musikpflege« gesprochen werden kann. Spuren römischen Musiklebens finden sich jedoch weit über diesen geographischen Raum hinaus. Wo immer die Römer ihr Feldlager aufgeschlagen, ihre Siedlungen und Wallanlagen errichtet hatten, hinterließen sie ihre Musikinstrumente, wie viele Musikszenen auf Grabsteinen, Stelen und Fußbodenmosaiken belegen.Die Musik hatte bei den Römern einen gewichtigen Anteil an der Erziehung. In späthellenistisch-römischer Zeit war ihr im Rahmen des dreistufig organisierten Erziehungswesens - Elementarunterricht an Vorschulen, enzyklopädische Unterweisung an Gymnasien, philosophische an den Gelehrtenschulen zum Beispiel in Athen, Alexandria und Rom - ein fester Platz innerhalb der »Sieben Freien Künste« zugewiesen. Diese »Septem artes liberales« waren diejenigen Wissenschaften, die von »freien« Bürgern betrieben wurden und nicht dem Broterwerb dienten. Sie bestanden aus dem Trivium, den drei sprachlichen Fächern Grammatik, Dialektik, Rhetorik und dem Quadrivium, den vier mathematischen Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik.. Dem systematischen, auf griechischen Vorbildern basierendem Werk des Marcus Terentius Varro aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., der auch Medizin und Architektur zu den »Freien Künsten« zählte, ist die Zusammenfassung der enzyklischen Fächer für die römische Welt zu verdanken. Martianus Capella(4./5. Jahrhundert v. Chr.) formulierte dann die verbindliche Siebenzahl der »Freien Künste« für das römische Bildungssystem, das in dieser Form an das Mittelalter weitergegeben wurde. Boethius, Kanzler des Ostgotenkönigs Theoderich im Rom des frühen 6. Jahrhunderts, schrieb in seiner Abhandlung »Über die Musik« ausführlich und unter zahlreichen Änderungen des griechischen Vorbilds über das Musiksystem. Es wurde zur theoretischen Basis des Gesangs der frühen. Christen, des Gregorianischen Chorals und damit, allerdings unter ständigen einschneidenden Modifikationen, des Abendlandes. - War eine solche Kontinuität akzeptiert, so lehnten andererseits die Verkünder des Christentums die Musik der römischen Tradition ab. Sie bekämpften auf das Schärfste das bunte Treiben der Tänzer, Musiker, Schauspieler und Schausteller, die orgiastischen Kulte aus Asien mit den fremdartigen Klängen ihrer Musikinstrumente als heidnische Ausschweifungen. Anstößig erschien ihnen die Lautstärke der Instrumente, die bei den heidnischen Tieropfern das Brüllen der Stiere übertönte und auch jede Textverständlichkeit verhindert hätte, wären sie in die christliche Religionsübung übernommen worden. Entrüstet lehnten sie vor allem den durchdringenden Klang der Tibia ab, ebenso den der Orgel. Auch durch dieses negative Urteil der Kirchenväter ist das Bild der Nachwelt vom römischen Musikleben stark geprägt, das nach und nach zurückwich und für lange Zeit vergessen, dann als historisches Gesamtphänomen missdeutet wurde.Das Römische Reich samt multikultureller Weltmusik ging unter, die Spurensuche, die erst viele Jahrhunderte später einsetzte, stand im Schatten der die Wissenschaftler faszinierenden Beschäftigung mit der griechischen Kultur, auch was das Musikleben betrifft. Erst in den frühen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts setzte seine Erforschung in großem Umfang ein, die die römischen Eigenheiten zutage förderte. Ergebnis war ein farbenfrohes Panorama einstiger römischer Musizierpraxis, die in Vielschichtigkeit, Wandlungsfähigkeit, Experimentierfreude und offenkundiger Klangfreude unvergleichlich ist.Prof. Dr. Ellen HickmannMusikgeschichte in Bildern, begründet von Heinrich Besseler u. a. Herausgegeben von Werner Bachmann. Band 2, Lieferung 5: Fleischhauer, Günter: Etrurien und Rom. Leipzig 21978.
Universal-Lexikon. 2012.